Dzogchen Ponlop Rinpoche

Normalerweise nehmen wir unser Leben als ganz selbstverständlich hin. Wir machen Jahr für Jahr einfach weiter und durchlaufen unsere Tage angetrieben durch unsere Gewohnheiten. Wir machen so weiter, bis unser Tagesablauf ziemlich mechanisch geworden ist.

Wir wachen mit dem Klingeln unseres Weckers auf. Wir putzen uns die Zähne und ziehen uns an, machen uns auf den Weg zur Arbeit und bald ist dann auch schon Zeit, unsere Kinder von der Schule abzuholen. Wir gehen zum Abendessen nach Hause oder gehen mit Freunden aus, dann sind wir müde und gehen schlafen. Das Wochenende kommt und wir gehen in den Park oder an den Strand, um Spaß zu haben.

Dann kommt der Montag und wieder erwachen wir beim Klang unseres lästigen Weckers. Wir wiederholen das gleiche Ritual jahrelang ohne Pause, ohne Fragen.

Eine neue Art Wecker für einen neuen Tag

Jetzt, ganz unerwartet, wurden wir irgendwann im Dezember durch eine andere Art Wecker aus unserer gewohnten Routine geweckt: diese globale Pandemie. Dieser Wecker hat unsere Routine abrupt unterbrochen. Derzeit ist fast jede Gemeinschaft in unserer Welt irgendwie von dieser Pandemie betroffen.

Jetzt können wir nicht mehr mit demselben nervigen Wecker am Montagmorgen aufwachen. Aber wir können mit dieser neuen Art Wecker aufwachen. Wir können einen neuen Tag beginnen und eine neue Routine in diesem neuen Raum erschaffen.

In diesem neuen Raum zu sein ist ein bisschen so, als würden wir ganz zum Anfang zurückkehren, zum Ausgangspunkt. Jetzt können wir einen wirklichen Neuanfang machen. Wir haben hier ein weites Gefühl von Offenheit, einem Rohzustand.

Aber all diesen Raum zu haben ist ein bisschen beängstigend, oder? Wenn in einer Unterhaltung viel Platz ist, ist es irgendwie unangenehm. Heutzutage fühlen wir eine Art Bodenlosigkeit und auch Furcht, weil uns unsere übliche Routine entzogen wurde.

Es ist, als würden wir uns auf ein großes Meeting oder ein wichtiges Vorstellungsgespräch vorbereiten und plötzlich fallen unsere ganzen Kleider ab. Alle unsere Kleider fallen einfach auf den Boden: die Krawatte, die Jacke, einfach weg. Wir fühlen uns ziemlich nackt!

In diesem Moment wissen wir nicht, was wir tun sollen. Wir stehen vor der unerwarteten Realität. Da ist ein leichtes Gefühl von Bodenlosigkeit, von Nichtwissen, das Angst erzeugt. Und das ist in Ordnung. Das ist okay.

Dieser Raum, diese Offenheit, so unverstellt und blank, ist eine großartige Gelegenheit für einen Neuanfang. Aber die Gelegenheit ist nur eine Bedingung. Die wahre Gelegenheit sind wir. Wir selbst sind die Chance.

Wir alle wissen, dass es für jeden sehr schwierig und herausfordernd ist, in diesem anhaltenden, dunklen Zustand zu sein, in dem wir nicht ausgehen und Dinge tun können. Wir können uns nicht nahe sein und mit unseren Freund*innen und unserer Familie Zeit verbringen. Aber wenn wir darüber nachdenken, wollen wir wirklich die ganze Zeit so eng mit unserer Familie und unseren Freund*innen zusammen sein? Eine interessante Frage, oder?

Es ist klar, dass wir unseren gewohnten Lebensstil nicht fortsetzen können. Wir sind also in vielen Teilen der Welt mit dieser schwierigen Situation des Lockdowns konfrontiert, in der die Menschen soziale Distanz einhalten müssen. Viele von uns fühlen sich aufgrund sozialer Distanzierung isoliert und einsam. Oder wir fühlen uns gelangweilt, nicht ausgehen und etwas unternehmen zu können.

Es war sicherlich ein bisschen ein Schock. Aber dieser Schock ist unser Wecker, der uns wachrüttelt. Wenn wir zum Klingeln des Weckers aufwachen, ist das eine Art Schock und wir sind ein bisschen erschrocken.

Viele Menschen sind auch besorgt. Wir wissen nicht, wie es von hier aus weitergeht. Die Zukunft ist ungewiss. Aber wenn wir ein wenig nachdenken, stellen wir fest, dass die Zukunft schon immer ungewiss war. Wir neigen dazu, sie für vorhersehbar zu halten: „Mittwoch stehe ich auf und gehe zur Arbeit.“ Es mag vorhersehbar erscheinen, aber tatsächlich ist die Zukunft ungewiss. Und das ist immer so.

Einander mit den Herzen näherkommen

 Aber vielleicht können wir mit diesem Neuanfang eine bessere Zukunft finden. Die Zukunft muss nicht völlig ungewiss sein. Wir können die Zukunft gestalten durch das, was wir heute tun.

Was auch immer wir heute zu tun entscheiden, das zählt. Denn wenn wir es mit Klugheit und Freundlichkeit tun und sinnvoll handeln, können wir tatsächlich eine bessere Zukunft schaffen. Wie wird diese Zukunft ausschauen? Wir können sie sehen in dem, was wir heute tun. Wir haben hier eine große Chance, eine bessere Zukunft zu gestalten. Macht euch also keine Sorgen.

Möglicherweise fühlen wir uns wegen der Zwei-Meter-Abstandsregel irgendwie niedergeschlagen und isoliert. Wenn wir aber diese Gelegenheit zu einer kleinen Reflexion nutzen, wenn wir klug und freundlich sein können, dann gelingt es uns vielleicht, einander mit den Herzen näherzukommen. Ich fordere euch nicht dazu auf, körperlich näher zusammenzurücken. Aber mit unserem Herz, unserem Bewußtsein ist es möglich. Wir können wirklich anfangen, uns einander näher zu fühlen als zuvor.

Diese Zwei-Meter-Abstandsregel gibt uns die großartige Gelegenheit, die Gewohnheiten, Tendenzen und Impulse unseres Geistes anzuschauen. Die Politik der sozialen Distanzierung zwingt uns dazu, ernsthafter über unsere Beziehungen nachzudenken. Das ist also eine großartige Gelegenheit, die wir hier haben.

Anstatt also nervös zu werden, können wir diese Situation auf eine positive Weise nutzen. Wir können bereits sehen, dass sie uns über unsere gewöhnlichen falschen Vorstellungen belehrt. Was meinen wir damit, wenn wir sagen, wir seien jemandem „nahe“? Das bemisst sich nicht in Metern oder in körperlichem Abstand, nicht wahr?

Wir können jetzt betrachten, was Nähe, einschließlich körperlicher Nähe, wirklich bedeutet. Soziale Distanzierung gibt uns die Möglichkeit, uns innerlich nahe zu fühlen, die Kostbarkeit von jemandem zu spüren, der „da draußen“ ist.

Wenn wir messen, wie nahe wir jemandem sind, tun wir das mit unserem Herzen. Es ist die echte Liebe oder die Zuneigung, die wir für jemandem empfinden. Aus dieser Perspektive sind wir immer denen nahe, denen wir nahe sein wollen.

Diese soziale Distanz von zwei Metern kann uns also nicht weiter voneinander entfernen. Wenn überhaupt, bringt sie uns näher zusammen.

Wenn wir uns draußen bewegen, halten wir in den meisten modernen Städten sowieso natürlicherweise diesen Abstand von zwei Metern ein. Wir wollen anderen Menschen nie körperlich wirklich nahe kommen. Wir wollen unseren Freund*innen körperlich nicht so nahe sein, geschweige denn Fremden. Wenn wir vor der sozialen Distanzierung öffentliche Verkehrsmittel nahmen, zogen wir es nach Möglichkeit vor, in zwei Metern Entfernung und alleine zu sitzen. Und wir haben es genossen!

Aber das Seltsame, das jetzt passiert, ist, dass wir auf einmal Menschen nahe sein wollen, sogar Fremden. Vielleicht ist das die Pandemie in der Luft. Wir können klar erkennen, wie unser Geist arbeitet, nicht wahr? Es ist so eine Art rebellischer Geist, Rebell Buddha.

Es ist also eine gute Zeit, darüber nachzudenken, wie diese soziale Distanz von zwei Metern uns tatsächlich näher bringt. Vor einer Weile wollten wir möglicherweise unsere Schwiegermutter nicht sehen. Und jetzt verlangt es uns danach.

Wie Alleinsein und Zeit für Rückzug unsere geistige Gesundheit fördern

Wir fühlen uns also irgendwie isoliert und einsam in dieser Quarantänesituation. Aber vielleicht könnten wir eine bessere Gewohnheit entwickeln, diese Zeit als Zeit für uns selbst, als „Zeit für mich“ zu genießen.

Aus buddhistischer Sicht ist die Quarantäne, oder Isolation, eine Meditations- oder Klausurzeit. Die Dharma-Belehrungen sagen üblicherweise, dass Alleinsein wirklich positiv für uns ist. Denn es ist eine Zeit, uns tiefer mit uns selbst zu verbinden.

Es stimmt, dass es eine Herausforderung sein kann, für sich alleine zu sein. Aber es ist auch eine Gelegenheit für das, was wir Meditation nennen, um mit unserem Geist zu arbeiten, mental wie auch körperlich. Auf der körperlichen Ebene können wir Yoga oder Tai Chi praktizieren, und geistig können wir verschiedene Arten von Konzentrationsübungen machen. Uns mit solchen Übungen zu beschäftigen, kann eine große Unterstützung sein, um aus dieser Zeit des Alleinseins Nutzen zu ziehen.

Alleinsein kann euren Geist regenerieren und ihn wieder aufladen.

Sogar euer Telefon muss ein bisschen allein sein, damit es gut funktioniert, nicht wahr? Euer Telefon kann nicht immer bei euch sein, sieben Tage, 24 Stunden. Es braucht ein bisschen Zeit alleine. Ihr verbindet euer Telefon mit dem Kabel an die Stromquelle, und dann überlasst ihr es eine Weile sich selbst. Lasst ihm etwas Zeit alleine.

Unser menschlicher Geist braucht auch Zeit für sich alleine, nicht wahr? Er braucht Zeit, um sich aufzuladen und zu regenerieren. Und unsere gegenwärtige Situation ist eine kraftvolle Zeit, das zu tun.

Ich las kürzlich einen Artikel, der einige Untersuchungen über die Wirkung von Alleinsein beschrieb. Wissenschaftler fanden heraus, dass Alleinsein, ein bisschen Zeit für sich allein, tatsächlich sehr gut für unsere geistige Gesundheit ist.

Diese Studie besagt, dass Heranwachsende, die während des Tages eine gewisse Zeit für sich alleine verbringen, anpassungsfähiger sind, dass sie sowohl psychisch als auch in Bezug auf ihre Leistung besser abschneiden. Sie untersuchte Indikatoren wie Depression, Beurteilungen durch Lehrer*innen, Problemverhalten und Notendurchschnitt.

Die Heranwachsenden, die einige Zeit alleine verbrachten, fühlten sich weniger gehemmt, berichteten von einem höheren Maß an Konzentration und hatten eine geringere Quote an Depressionen und Entfremdung. Sie gaben an, sich allgemein besser zu fühlen und kamen auch besser damit zurecht, alleine zu sein.

Vielleicht können wir also diese Zeit der Isolation als Rückzug verwenden. Vielleicht können wir diese Zeit nutzen, um all die positiven Aspekte der Verbesserung unserer geistigen Gesundheit zu erhalten. Wir könnten anfangen, Alleinsein zu genießen. Dann könnten wir uns von Einsamkeit verabschieden. Das könnte ein guter Liedtext sein: „Bye bye Einsamkeit“.

Diese Zeiten geben uns die Chance,  unsere geistigen Gewohnheiten und unsere Routine zu überprüfen. Gleichzeitig gibt uns diese Situation einen großartigen Einblick, wie sehr wir miteinander verbunden und voneinander abhängig sind.

Sogar während wir uns danach sehnen, zu unserem gewohnten Gefühl von Normalität zurückzukehren, ist es sehr wichtig, dass wir diese Gelegenheit nutzen. Es ist notwendig, die Dinge klar zu sehen und ein Gefühl von Freundlichkeit und Weisheit in diese Situation zu bringen, damit wir unser Leben sinnvoll leben können. Wenn uns dies gelingt, kann das ein großartiger Neuanfang sein.

Wir sitzen alle im selben Boot. Die Welt war noch nie so vereint.

Unsere Chance nutzen

Dies ist eine großartige Gelegenheit für uns, aber es ist eine Art erzwungener Gelegenheit. Ist das nicht schön? Normalerweise müssen wir intensiv nach Chancen suchen, aber diesmal ist sie uns aufgezwungen worden!

Wenn wir sie aber nur als erzwungenen Rückzug, als erzwungene Distanzierung betrachten, werden wir nicht in der Lage sein, den großen Nutzen aus dieser Situation zu ziehen. Anstatt also der Meinung zu sein, dass uns jemand dieses Alleinsein aufzwingt, können wir es als Chance sehen, die an unsere Tür klopft. Die Gelegenheit ist da, sie ist bereit und wartet.

Es ist ein guter Zeitpunkt, um unsere Gewohnheiten und Tendenzen, unseren Geist und unsere Welt einer Realitätsprüfung zu unterziehen.

In der Regel befassen wir uns mit unserem täglichen Leben, als sei es eine mechanische Routine,  und wir neigen dazu, ein bisschen roboterhaft zu werden. Üblicherweise hinterfragen wir unseren Geist nicht oder denken viel darüber nach. Infolgedessen läuft unser Leben in einer Art Dunkelheit ab. Und manchmal können wir das erkennen; wir sind nicht dumm.  Wir sehen es, und dennoch fällt es uns schwer, den Mut aufzubringen, mit dieser Gewohnheit zu brechen.

Aber gerade jetzt, genau in diesem Moment, zwingt uns die globale Pandemie, mit dieser Gewohnheit zu brechen. Sie hilft uns, fast unbeabsichtigt eine gütige Person zu sein. Wir tragen zum Beispiel eine Maske, um uns selbst davor zu schützen, krank zu werden, aber unbeabsichtigt schützt das auch andere davor, sich mit  jeglicher Krankheit anzustecken, die wir unwissentlich in uns tragen. Da passiert so eine Art unbeabsichtigter Güte.

Die Pandemie hilft uns auch dabei, einige schöne positive Gewohnheiten zu entwickeln, wie zum Beispiel, uns die Hände zu waschen. In Zukunft müssen wir uns keine Sorgen machen, jemandem die Hand zu geben, weil wir wissen, dass er saubere Hände hat.

Jetzt haben wir also die Chance, die Kette unserer Robotergewohnheiten zu durchbrechen. Gleichzeitig scheinen wir ein wenig Schwierigkeiten zu haben, diese Gelegenheit zu nutzen. Weil wir nicht gerne gezwungen werden, oder? Wir wollen Freiheit. Und wir wollen, dass alles von uns selbst kommt.

Aber letztendlich kommt es auf das Gleiche heraus. Es scheint zwar, dass wir gezwungen werden, aber ob wir die Situation nutzen oder nicht, liegt ganz bei uns. Niemand kann uns zu etwas zwingen und sollte das auch nicht. Wir entscheiden.

Es bietet sich uns also jetzt die Chance der Quarantäne. Sie ist wie ein großes Buffet der Möglichkeiten vor uns ausgebreitet, und wir können entscheiden, was wir essen wollen. Unser gesamtes Erleben hängt von der Einstellung und Haltung unseres Geistes der Situation gegenüber ab. Solange wir nicht mit unserem Geist arbeiten, werden wir Schmerz erfahren, ob wir uns nun mitten in einer globalen Pandemie befinden oder nicht.

Neulich in einer Fernsehsendung hörte ich diesen schönen Satz: „Es gibt einen Schmerz, der dich benutzt, und es gibt einen Schmerz, den du benutzt“.

Unsere ganze Erfahrung hängt von unserem Geist ab, unserer mentalen Stärke.

Erinnert ihr euch, als wir die Wahl hatten, rauszugehen und mit der ganzen Welt in Kontakt zu treten? Wir haben ständig nach mehr Privatsphäre und persönlicher Zeit verlangt. Jetzt, da wir diese persönliche Zeit und so viel Raum haben, fühlen wir uns einsam und fragen unsere Freund*innen: „Warum hast du mich nicht kontaktiert?“ Und unsere Freund*innen antworten: “Das letzte Mal, als wir miteinander gesprochen haben, hast du um mehr persönlichen Raum gebeten.“ Und so geht das immer wieder hin und her.

Es ist also wichtig, unsere Sichtweise zu ändern, um diese Gelegenheit zu begrüßen, mit unserem Geist zu arbeiten und seine Stärken zu entwickeln. Das ist der Schlüssel zur Überwindung von Herausforderungen, Verlusten oder schmerzhaften Kämpfen.

Wie man zu sagen pflegt: Wenn du im Leben etwas verlierst, dann verpasse nicht die Lehre daraus.

Öffnen wir also unsere Arme und heißen die Veränderung willkommen!

Drei Punkte zur Reflexion

Akzeptiere als erstes die Angst. Statt vor der Angst davonzulaufen oder mit Angst zu reagieren, ist es wichtig, direkt mit der Angst zu arbeiten. Dazu müssen wir zuerst die Erfahrung anerkennen und akzeptieren. Je mehr wir die Angst akzeptieren, desto mehr können wir sie sogar schätzen und genießen, ob ihr es glaubt oder nicht.

Je mehr wir kämpfen und vor der Angst davonlaufen, desto mehr leiden wir. „Mit Angst arbeiten“ bedeutet also, sich ihr direkt zu stellen und uns zu erlauben, sie zu erleben – auf körperlicher und psychischer Ebene.

Dabei ist es wichtig, die Angst zu betrachten, ohne das Etikett „Angst“ hinzuzufügen. Wir bleiben einfach bei der Empfindung, nur beim Gefühl selbst.

Angst selbst ist eigentlich kein Problem. Aber wenn wir das Etikett, den Begriff oder das Konzept hinzufügen, wird es zu einem Problem. Die ursprüngliche Erfahrung der Angst selbst ist unser intuitiver Verstand. Das ist eine Form von Weisheit. Und es ist gut, diese intuitive Art von Angst zu haben.

Wenn wir dem Rand einer Klippe zu nahe kommen, reagiert unser Körper mit Angst, und wir treten automatisch zurück. Wir benennen das nicht. Wir fühlen es einfach und treten sofort zurück. Das ist gut! Wir sollten diese Art von Angst nicht loswerden. Diese intuitive Angst selbst, ohne hinzugefügten Begriff oder Etikett, ist nicht der problematische Geisteszustand, den wir „Angst“ nennen.

Angst vor der Angst ist die wahre Angst.

Ist das nicht so? Wir sehen das, wenn wir einen Termin beim Zahnarzt haben. Sobald wir in der Praxis angekommen sind und auf dem Zahnarztstuhl sitzen, ist alles in Ordnung. Aber wenn wir eine Woche vorher in unseren Kalender schauen und den bevorstehenden Termin beim Zahnarzt sehen, entsteht so viel Angst!

Es ist also unser Konzept der Angst, das wir verändern müssen. Um damit arbeiten zu können, wird es für uns sehr wichtig, über die Realität, die Vergänglichkeit unserer äußeren und inneren Welt nachzudenken.

So viel von unserer Angst vor der Angst hängt mit der Vorstellung von Veränderung zusammen. Manchmal wollen wir uns nicht verändern, und Angst kommt auf. Selbst wenn wir uns verändern wollen, fürchten wir möglicherweise die unbekannten Aspekte: wie wird das Leben nach dieser Veränderung sein, wie werde „ich“ sein?

Wenn wir aber die Wirklichkeit der Vergänglichkeit verstehen, wissen wir, dass Veränderung nicht freiwillig ist. Es gibt kein Formular, in dem steht: „Wenn Sie Veränderung wollen, kreuzen Sie hier an, und wenn Sie keine Veränderung wollen, kreuzen Sie hier an“. Darüber müssen wir nachdenken.

Da alles der Veränderung unterliegt, gibt es kein wirkliches Gefühl vollständiger Kontrolle.

Veränderungen finden ständig, in jedem Augenblick, statt. Das können wir nicht kontrollieren. Veränderung ist unvermeidlich. Aufgrund der Natur von Vergänglichkeit kann man nichts hundertprozentig genau vorhersagen. In Wirklichkeit ähneln die Dinge eher der Chaostheorie, bei der sogar eine geringfügige Änderung große Auswirkungen haben kann.

Als zweites müssen wir unsere gegenseitige Abhängigkeit verstehen

Diese Pandemiesituation hat sehr deutlich gemacht, wie sehr wir miteinander verbunden und wie sehr wir voneinander abhängig sind.

Das war schon immer so. Gegenseitige Abhängigkeit ist die Realität. Der Buddha lehrte das. Es fiel uns oft schwer, das zu sehen, aber jetzt können wir leicht die Verbindung zwischen uns und allen anderen Menschen erkennen, auf die wir angewiesen sind. Wir sind uns unserer Nahrungsquellen, Bauernhöfen und Bauern, Lebensmittelgeschäften und Arbeitern bewusster. Den Herstellern von Toilettenpapier. Sie alle sind sehr wichtig für uns. Jetzt schätzen wir wirklich die Auslieferer von Amazon, die Ärzte und Krankenschwestern. Wir sind alle miteinander verbunden und sehen, wie wichtig jeder von uns ist.

Möglicherweise hatten wir eine falsche Sicht von unsere Unabhängigkeit und dachten, dass wir irgendwie unabhängig von Anderen existierten. Aber in Zeiten wie diesen, in denen unsere gegenseitige Abhängigkeit so deutlich wird, kann unser Gefühl für Selbst und Andere, wir und sie, endlich aufbrechen. Es kann sich die klare Erkenntnis einstellen:

Unser Überleben hängt voneinander ab.

Wir können sehen, dass wir eine Art Verantwortung füreinander haben. Wenn wir in der Lage sind, die Natur unserer Vernetzung und gegenseitigen Abhängigkeit zu verstehen, ist es uns möglich, die weise Wahrheit zu erkennen.

Drittens: Lasst uns Freundlichkeit und Mitgefühl entwickeln

Intelligenz und gegenseitige Abhängigkeit müssen Hand in Hand gehen.

Güte und Mitgefühl sind kluge Intelligenz gegenseitiger Verbundenheit in Aktion.

Wenn wir ein Gefühl von Anteilnahme an den Herausforderungen, Schwierigkeiten und dem Schmerz von jemand Anderem spüren, erzeugt das eine Art von weitem Raum und Offenheit in unserem Herzen. Es bilden sich Großmut und Widerstandsfähigkeit in unserem Herzen oder unserem Bewusstsein. Dieses offene, weite Gefühl von Freundlichkeit, Liebe und Mitgefühl zu spüren, macht uns viel fähiger, mit unserem eigenen Leiden umzugehen.

Wenn man andererseits sein Herz für Andere verschließt und jede Situation ausschließlich aus einer egozentrischen Warte heraus betrachtet, wird selbst das kleinste Problem riesengroß. Sich selbst zu erlauben, Freundlichkeit, Liebe und Mitgefühl zu spüren, erzeugt einen weiteren Raum in unserem Herzen, ein Gefühl von Freiheit.

Diese Freundlichkeit oder Liebe sollte keinen Anlass haben. Wenn man zum Beispiel sagt: „Ich liebe dich, weil…“, dann gibt es da schon ein Problem.

Wir brauchen keinen Grund, freundlich und liebevoll zu sein. Wir sollten zu Anderen „grundlos“ freundlich sein.

Versuchen wir also, uns jedem gegenüber in Freundlichkeit zu üben. Lasst uns großzügig und mitfühlend miteinander umgehen.

Im Buch „Emotionale Befreiung“ gibt es einen Abschnitt mit dem Titel „24 Stunden Güte“ (er beginnt auf Seite 114). Lasst uns das versuchen, nur für einen Tag. Ihr müsst nicht 24 Stunden in Klausur sein. Versucht einfach, ein Gefühl von Freundlichkeit und Liebe in euren Tag zu bringen. Das Buch enthält spezielle Übungen, die euch dabei helfen.

Isolation ist eine grossarige Gelegenheit zur Meditation.

Ich habe folgendes Zitat gesehen: „Beurteile deinen Erfolg daran, was du aufgeben musstest, um ihn zu erreichen“. Im Moment haben wir vielleicht das Gefühl, dass wir viele Dinge in unserem Leben aufgeben müssen. Aber lasst uns probieren, wie wir diese Zeit gut nutzen können, mit einer positiven Haltung. Last uns schauen, wie wir großen Nutzen daraus ziehen können.

Seid bitte klug. Hört auf die Experten, Wissenschaftler, Ärzte und auf all die wunderbaren Richtlinien, die wir bekommen haben.

Seid freundlich. Seid hilfsbereit und unterstützt alle um euch herum, die Unterstützung und Hilfe benötigen. Tragt eure Masken. Das ist eine Zeichen von Güte. Wascht eure Hände. Auch das heißt, gütig sein.

Und lebt aus dem Vollen. Lebt euer Leben in vollen Zügen. Das müsst ihr nicht aufhören. Das Leben hat definitiv nicht aufgehört. Das Leben ist nicht heruntergefahren. Lebt also aus dem Vollen und macht das Beste daraus. Genießt es!

Ihr seid alle in meinem Herzen und in meinen Gebeten. Bleibt bitte gesund und stark. Seid klug, seid freundlich und lebt aus dem Vollen.

Aus dem Englischen von Monika Sandmeier.

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