Meditation – den eigenen Geist kennenlernen
Die Praxis der Meditation ist im Wesentlichen ein Weg sich selbst besser kennen zu lernen – in dem wir uns mit unserem eigenen Geist vertraut machen. Aus buddhistischer Sicht ist der menschliche Geist von jeher erwacht und befreit. Seine Natur ist mitfühlend und völlig präsent. Welche Art der Meditation wir auch üben mögen, sie alle zielen darauf ab unsere Achtsamkeit und Präsenz zu vermehren, inneren Frieden zu ermöglichen und uns zu befähigen auf eine heilsame Art mit unseren Gefühlen umzugehen.
Der menschliche Geist wird gern mit einem wild umherspringenden unzähmbaren Affen verglichen. Dies wird oft erst dann bemerkt, wenn man das erste Mal versucht zu meditieren und seinen Geist auf ein einfaches Ziel wie den Atem zu konzentrieren. Gedanken und Gefühle springen dann zumeist ohne Unterbrechung wild hin und her. In Meditation können wir mit Geduld lernen, unseren Geist zu zähmen und dadurch echte Freiheit von Zwängen aller Art zu gewinnen.
Zunächst geht es darum, das Leben und Umfeld so gestalten, dass der Geist leichter zur Ruhe kommen kann. Dazu gehört zum Beispiel die Einrichtung eines ungestörten Meditationsplatzes, an dem man regelmäßig meditiert. Dabei gilt, lieber jeden Tag kurz zu üben, als einmal im Monat lang. Traditionell wird Meditation in aufrechter Haltung, im Lotussitz ausgeübt. Wichtig sind aber nicht die kunstvoll überkreuzten Beine, sondern die aufrechte Haltung von Rücken und Wirbelsäule. Wenn Sie nicht auf dem Boden sitzen können, ist eine gerade Haltung auf einem Stuhl auch völlig in Ordnung.
Meditation im tibetischen Buddhismus
Kaum eine andere Richtung des Buddhismus kennt so viele Meditationsformen wie der tibetische Buddhismus. Meditationen beginnen immer mit einem Gebet zur Zufluchtnahme und Entwicklung des Erleuchtungsgeistes (Bodhicitta). Man macht sich bewusst, dass die Schulung des eigenen Geistes das wichtigste Werkzeug auf dem Weg zur Befreiung darstellt und dass wir dafür die Unterstützung – die Zuflucht zu Buddha, zur Lehre des Buddha (Dharma) und zur Gemeinschaft der Praktizierenden (Sangha) benötigen. Wir bitten darum, dass unser Wunsch nach Erleuchtung groß wird und dass wir alle anderen fühlenden Wesen ebenfalls befreien. Der Wunsch nach dem Ende des Leidens für alle Wesen bedeutet, Mitgefühl zu empfinden, welches die Essenz des erleuchteten Geistes ist.
Meditation zur Geistesruhe und Einsicht- bzw. Achtsamkeitsmeditation
Meditation is not just about relaxing or helping us de-stress. It is something that can help increase our awareness, help us develop more mindfulness and a deeper sense of joy and appreciation.
In der Meditation der Geistesruhe, im tibetischen Buddhismus „Shine“- oder „Shamata“ genannt, richten wir den Geist entweder auf einen Konzentrationspunkt, zum Beispiel den eigenen Atem. Tauchen Gedanken auf, betrachtet man sie wertfrei und lässt sie wieder gehen. Durch diese Praxis kommt der Geist mit der Zeit zur Ruhe. Eine relative Geistesruhe ist die Grundlage für andere Meditationsformen.
Hört der Geist auf, sich ständig in diskursiven Gedanken zu bewegen, bekommt er Raum um ohne Bewertungen zu beobachten. Auf Grundlage der Geistesruhe wird in der, im Tibetischen“Lhaktong“ genannten, Einsichtsmeditation versucht, unmittelbar wahrzunehmen. Dies passiert über die Methode der Achtsamkeit. Spürt man zum Beispiel wertfrei und unmittelbar in alle Körperbereiche hinein, können dabei Verspannungen durch reines Gewahrsein aufgelöst werden. Oder die Praxis richtet sich auf den eigenen Atem, man fühlt das Heben und Senken der Bauchdecke und das Vorbeistreichen der Luft an den Nasenwänden beim Ein- und Ausatmen. Es ist möglich, dass die „erfahrende Instanz“ sich in der Meditation selbst erfährt und die unmittelbare Natur des eigenen Geistes erkennt.
Analytische Meditationsmethoden und "Yidam"-Praxis im Vajrayana
Durch eine gewisse Sicherheit in den genannten einführenden Meditationstechniken werden ideale Bedingungen für tiefergehende Übungen geschaffen. Im tibetischen Buddhismus sind dies zum einen konzentrative sowie analytische Meditationen und zum anderen Visualisierungen von Yidams, erleuchteten Buddha-Aspekten (oft auch als „Gottheiten“ bezeichnet). In analytischen Meditationen versucht man, ein bestimmtes Thema wie Mitgefühl mit logischem Denken und Schlussfolgerungen zu durchdringen. Am Ende wird vertiefend darüber meditiert, um die Erkenntnis zu stabilisieren. Haben wir beispielsweise verstanden, dass sich alle Wesen nach Glück und Freiheit von Leid sehnen und erkennen wir gleichzeitig, dass sie aus Unwissenheit die Leiden selbst schaffen, dann wünschen wir ihnen von Herzen, dass sie die wahren Ursachen für Glück erkennen und es verwirklichen. Einen solchen Zustand liebender Güte können wir realisieren, stabilisieren und darin verweilen. Liebe ist dann kein bloßer Gedanke mehr, sondern eine emotionale Qualität.
So vorbereitet, entfalten auch Vajrayana-Meditationspraktiken wie die Visualisierung von Buddha-Aspekten eine umfassende Wirkung. Die dabei vorgestellten „Yidams“ sind keine unabhängigen Wesenheiten, sondern geistige Formen, durch die Praktizierende die ihnen innewohnende erleuchtete Natur entdecken. Ähnliches gilt auch für den „Guru-Yoga“. Hierbei identifizieren die Praktizierenden ihr Bewusstsein mit dem erleuchteten Geist eines vollkommen verwirklichten Meisters.
Mahamudra und Dzogchen
Mahamudra bedeutet wörtlich „großes Siegel“. Die höchsten buddhistischen Lehren werden als Grundlage für Mahamudra angesehen. Die Praxis als solche ist als Pfad zu betrachten und die daraus resultierende Erfahrung als Frucht, die quasi dauerhaft besiegelt wird.
Der Mahamudra-Ansatz wird oft auch als die Essenz der Lehre Buddhas bezeichnet. Die Praxis kann unter günstigsten Umständen innerhalb eines einzigen Lebens zur Erleuchtung führen. Die damit eintretende Realisation kann als „Erkennen der höchsten Wirklichkeit“, „Erkennen der Natur des Geistes“ oder schlicht als „Erkennen der Buddhanatur“ bezeichnet werden. In diesem vollkommenen Zustand sind alle dualistischen Geistes-Konzepte überwunden, die dauerhafte Erfahrung einer „absoluten Wirklichkeit“.
Mit der Dzogchen-Praxis (wörtlich: „große Vollkommenheit“) hat der tibetische Buddhismus auch einen stufenlosen, auf unmittelbare Erkenntnis zielenden Weg hervorgebracht. Im Dzogchen wird davon ausgegangen, dass jeder die wahre Buddhanatur bereits in sich trägt, dieses aber aufgrund temporärer Verschleierung nicht erkennen kann. Die Einführung in das ursprüngliche Gewahrsein durch einen/eine verwirklichte Dzogchen-Meister*in ist dabei von großer Bedeutung. Dzogchen gilt auch als Weg der Selbstbefreiung, der jeden sein wahres Wesen jenseits der Dualität erkennen lässt.
Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt
Die vielen unterschiedlichen Meditationspraktiken des tibetischen Buddhismus mögen auf den ersten Blick verwirrend erscheinen, sind sie doch über Jahrhunderte in einer uns fremden klösterlichen Kultur entstanden. Entscheidend ist es, bei der Auswahl der Meditation auf die Ratschläge verwirklichter Lehrer*innen zu hören und die empfohlenen Meditationsmethoden konsequent anzuwenden. Täglich können wir uns damit erneut auf eine meditative Lebensweise einstimmen. Buddhistische Meditationen helfen, die Wahrnehmung zu verändern und schaffen dadurch die Voraussetzung für ein erfülltes Leben zum Wohle aller lebenden Wesen.
Literaturempfehlung
Dzogchen Pönlop Rinpoche, Rebell Buddha.
Verlag Knaur Taschenbuch, 12,99 Euro. ISBN 3426291908